karte schulbuch iran
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Landkarte vom Nahen Osten aus einem aktuellen, iranischen Schulbuch für Schüler der fünften Klasse in der Grundschule. Dort, wo seit 1948 der Staat Israel existiert, steht auf der Landkarte in Farsi »Besetztes Palästina«.
Seit der Islamischen Revolution 1979 erkennt die Islamische Republik Iran das Existenzrecht von Israel nicht mehr an. Heute leben über 200 000 Juden iranischer Herkunft in Israel, während der Anteil der Juden im Iran bei ungefähr 10 000 Personen liegt. Vor der Islamischen Revolution 1979 lebten rund 100 000 Juden im Iran, aber nachdem mehrere Juden, darunter der bekannte Geschäftsmann und Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Iran Habib Elghanian, von Islamisten hingerichtet wurden, emigrierte die Mehrheit der iranischen Juden ins Ausland.
Obwohl die Islamische Republik Iran seit über 40 Jahren versucht, die Bevölkerung einer ideologischen Gehirnwäsche zu unterziehen, haben die Machthaber damit genau das Gegenteil erreicht: Die Mehrheit der Iraner lehnt heute die islamistische Ideologie und die Feindbilder der Regierung ab und steht dem Westen sehr offen und freundlich gegenüber.
Im folgenden Interview kommt eine im Iran lebende Iranerin zu Wort, die vor der Islamischen Revolution als Lehrerin und Schulleiterin und danach ebenfalls als Lehrerin bis zu ihrer Pensionierung gearbeitet hat. Zum Schutz ihrer Persönlichkeit vor staatlichen Repressionen erscheint dieses Interview anonym.


Welche schönen und unangenehmen Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Schulzeit in den Fünfzigerjahren im Iran?

In meiner Kindheit habe ich eine sehr gute private Schule im Iran besucht. Es herrschte eine schöne und vernünftige Atmosphäre in der Schule und das Personal bestand aus den qualifiziertesten Persönlichkeiten der damaligen Zeit. Wir konnten Theaterspielen, hatten Musikunterricht und alle Fächer, von denen ein Kind geträumt hat.
Meine schönste Erinnerung an meine Schulzeit verknüpfe ich mit Shabanou Farah¹, die eine Theateraufführung unserer Schule besucht hat. Ich besuchte damals die Abschlussklasse und spielte als Mann verkleidet eine Theaterrolle für Farah. Farah war damals zum ersten Mal schwanger, als sie uns in der Schule besuchte.
Die traurigste Erinnerung aus meiner Schulzeit verbinde ich mit einem Mal- und Kunstwettbewerb, bei dem ich sicherlich sehr gut abgeschnitten hätte. Aber am Abend vor diesem Wettbewerb ist mein Vater gestorben und so konnte ich nicht teilnehmen. Ich war damals 16 Jahre alt und dieser Erinnerung schmerzt heute noch.

Wie war der Umgang zwischen Mädchen und Jungen in ihrer Kindheit?

Wenn ich mich mit anderen Kindern - Jungen und Mädchen - getroffen habe, dann spielte das Geschlecht keine Rolle. Wir haben zusammen in den Gärten der Häuser oder auf der Straße gespielt. Die Eltern hatten damit keine Probleme und haben uns nicht getrennt.
Bis zur vierten Klasse besuchten Jungen und Mädchen gemeinsam eine Klasse, danach gab es getrennten Unterricht. In der Schule sind Mädchen und Jungen sehr stilvoll und vernünftig miteinander umgegangen.
Wahrscheinlich haben auch einige von Liebe geträumt, aber in der Realität kaum etwas davon gezeigt. Jeder Junge und jedes Mädchen träumte von Partnerschaft, von Familiengründung und Zusammenleben, aber wir haben darüber nur sehr vorsichtig und mit Hemmungen gesprochen. Es war damals nicht so angesagt, häufig die Freundschaft zu wechseln. Fast die Hälfte der damaligen Freundschaften endeten in einer festen Beziehung und Heirat. Wenn diese Freundschaften scheiterten, dann hat man es für sich behalten und nicht darüber gesprochen.

Wie ging es für Sie nach dem Ende der Schule weiter?

Nach dem Ende meiner Schulzeit wollte ich zuerst meine Mutter bei ihrer Arbeit unterstützen, da mein Vater nicht mehr lebte.
Ich habe mich beim Bildungs- und Erziehungsministerium gemeldet und durfte als Quereinsteigerin an einer Schule in einer kleineren Stadt anfangen. Es gab für mich an dieser Schule eine Aufnahmeprüfung, die ich bestand, und so durfte ich als Abiturientin dort Grundschüler unterrichten.
Nachdem mir auch eine Prüfung für das Lehramtsstudium gelang, konnte ich drei Jahre studieren. Allen Absolventen, die damals erfolgreich das Lehramtsstudium abschlossen, schenkte der Schah als Anerkennung ein 400 Quadratmeter großes Grundstück. Ich bin dann schließlich im Schuldienst aufgestiegen; erst war ich Sekretärin der Schulleitung und später habe ich die Schulleitung übernommen.
Der Schulunterricht damals war eher von der Persönlichkeit eines Kindes abhängig als von einer strikten Vorgabe. Wenn ein Kind besonders gut in Physik oder beim Theaterspiel war, dann wurde es dort extra gefördert.

Eine der außergewöhnlichsten Frauen im iranischen Bildungssystem war Dr. Farrokhroo Parsa² (1922-1980), welche 1963 als erste Frau im Iran einen Ministerposten im Bildungsministerium erhielt. Ein Jahr nach der islamischen Revolution wurde Frau Parsa von Chomeinis Schergen hingerichtet. Ihre letzten Worte waren: »Das Gericht, das mich verurteilt hat, benachteiligt Frauen gegenüber Männern, und ich hoffe, dass die Zukunft für Frauen besser sein wird als mein heutiges Schicksal.«
Was verbinden Sie als Iranerin, langjährige Lehrerin und Schulleiterin mit Frau Parsa?


Frau Dr. Farrokhroo Parsa war ein Vorbild für jede Iranerin.
Sie hat in ihrer Zeit wie eine Sonne gestrahlt. Ihre Fähigkeit, etwas zu verändern und ihr Wissen haben das iranische Bildungs- und Erziehungsministerium viel weiterentwickelt. Wenn man die gesamte Zeit des iranischen Bildungssystems als Ring sieht, dann ist Frau Parsa der Diamant auf diesem Ring.
In der Zeit von Frau Parsa wurde das Lernen (Schule, Studium, Ausbildung) für jeden (Männer und Frauen) und unabhängig aus welcher sozialen Schicht jemand kam, vom Staat subventioniert und der Unterricht war kostenlos. Schüler wurden in der Schule mit kostenlosem Mahlzeiten versorgt. Lehrkräften erhielten damals Vergünstigungen für Urlaubsreisen ins Ausland, damit sie noch andere Eindrücke bekommen konnten.
Ich bedauere sehr, dass Frau Parsa, die soviel erreicht hat, solch ein trauriges Ende hatte. Das ist schwer zu verstehen.

Im Jahr 1963 beschloss Schah Reza Pahlavi gegen den Widerstand des Klerus ein 6-Punkte-Programm (»Weiße Revolution«) zur Modernisierung Irans. Zur selben Zeit setzte die iranische Kaiserin Farah Diba Pahlavi eine Reihe von fortschrittlichen Vorhaben im Kinder- und Jugendbereich um.
Wie haben Sie als Lehrerin die Umsetzung dieser Maßnahmen und Vorhaben erlebt und welche waren in ihren Augen besonders erfolgreich?


Alles, was der Schah mit seiner Frau Farah Diba Pahlavi im sechs Punkte Programm der Weißen Revolution von 1963 auf den Weg brachte, also die Gründung von Stiftungen für die Bildung von Kindern und Jugendlichen, die Armee des Wissens, der Gesundheit und Hygiene, der Kampf gegen Analphabetismus unter älteren Menschen, das waren die besten Maßnahmen, die man damals durchführen konnte.
Zwei Punkte waren für mich persönlich besonders wichtig, nämlich die Stiftungen für Kinder und Jugendliche und die Bekämpfung des Analphabetismus unter Älteren. Die Stiftungen für Kinder und Jugendliche legten Bildungsprogramme auf, z.B. mit Schreib- und Malkursen, Kinder haben eine eigene Zeitung veröffentlicht und es gab individuelle Förderungen für Kinder.
Die Armee des Wissens setzte sich aus jungen Mädchen und Jungen zusammen, die gerade die Schule beendet hatten und diese Arbeit als ein Soziales Jahr erlebten. Wer damals bei der Armee des Wissens teilgenommen hatten, der qualifizierte sich mit diesem sozialen Dienst für den Schuldienst oder eine Arbeit im Gesundheitsbereich.

Wie veränderte die Islamische Revolution 1979 ihre Arbeit als Lehrerin und Schulleiterin?

Kurz gesagt, die Islamische Revolution hatte zur Folge, dass niemand seine alte Arbeitsstelle behielt und Leute ohne Qualifikationen an hohe Posten kamen.
Ich hatte mich damals mit erfahrenen Kollegen zusammengeschlossen und Widerspruch eingelegt, aber ohne Erfolg. Wir haben alle nur Stellen erhalten, die weniger anspruchsvoll als unsere ursprünglichen Arbeitsstellen waren. Ich sollte in einem Armenviertel in Teheran in einer Jungenschule beschäftigt werden und ein Jahr später durfte ich dort die dritte Klasse einer Grundschule übernehmen.
Die Schüler dieser Schule waren mir gegenüber immer sehr respektvoll und höflich.

Was geschah nach 1979 mit Lehrern aus der Schahzeit, die nicht den Vorstellungen der Islamisten entsprachen?

Viele dieser Kollegen haben zahlreiche Schwierigkeiten bekommen und Änderungen in ihrem Leben.
Wer konnte, der hat das Land verlassen. Manche haben sich zu Hause ‘eingeschlossen’, die Schule verlassen und mit Angst und Unsicherheit weitergelebt.
Eine meiner besten Mitarbeiterinnen hatte einen Sohn, der die Eliteuniversität in Shiraz besuchte und einmal eine verbotene Zeitschrift mitnahm. Er wurde verhaftet und drei Tage später hingerichtet. Diese Mitarbeiterin hat massive psychische Probleme bekommen und trug bis zum Ende ihres Lebens immer ein Foto ihres Sohnes mit sich.

Hat die Islamische Revolution etwas Positives im Erziehungs- und Bildungsbereich erreicht?

Eigentlich war schon unter dem Schah geplant, dass mehr Frauen sich bilden und studieren sollten, aber streng religiöse Familien wollten ihre Töchter nicht in einer offenen, säkularen Atmosphäre studieren lassen. Nach der Islamischen Revolution hatten diese religiösen Familien keinen Grund mehr, ihren Töchtern das Studium zu verbieten. Es war aber nicht von der Islamischen Republik Iran geplant, dass mehr Frauen aus religiösen Familien die Universitäten nach der Revolution besuchen.
Und letztlich führte dies zu einem gegenteiligen Ergebnis in dem Sinne, dass diese Frauen aus religiösen Familien wegen des Studiums am Ende oft kritischer gegenüber dem System waren.
Wenn nach der Revolution iranische Spezialisten und intelligente Akademiker ins Ausland gegangen sind und dort Eliteuniversitäten besucht haben, dann lag es daran, dass sie selbst intelligent waren und die ideologischen Kontrollen der Islamischen Republik Iran umgehen wollten. Manche Iraner, welche die ideologischen Prüfungen nach der Revolution nicht verstanden haben, sind ebenfalls ins Ausland emigriert.
Also, die Islamische Revolution hat keine positiven Verbesserungen erreicht. Wenn es die Revolution nicht gegeben hätte, dann wären viele intelligente Iraner im Land geblieben und die Gesellschaft hätte davon profitiert.

Welchen Kontrollen und Vorgaben waren Sie als Lehrerin nach der Islamischen Revolution unterworfen?

Als Frau musste ich den Hijab tragen und die persönliche Meinung und der Glaube wurden kontrolliert, und wenn jemand diese Kontrollen nicht bestand, dann wurde ihm gekündigt.
In jeder iranischen Schule gibt es nach der Revolution eine Person vom Staat, die offiziell als »Pädagoge« auftritt, aber in Wahrheit nur als Spitzel der Regierung die Gesinnung der Mitarbeiter und Schüler überprüft. Und diese »Pädagogen« haben unseren Kollegen viele Schwierigkeiten bereitet.
Ich habe erlebt, wie eine Mitarbeiterin für zwei Jahre ihre Arbeit als Lehrerin verlor und nicht bezahlt wurde und erst mit Gefälligkeiten an einen Mullah gelang es ihr, wieder ihren Beruf als Lehrerin fortzuführen.

Gibt es für Lehrer Möglichkeiten oder Spielräume innerhalb der strikten ideologischen Vorgaben des islamischen Regimes, den Schulunterricht freier zu gestalten?

Nein, niemals war unsere Arbeitsatmosphäre so frei, dass wir den Unterricht nach unsere eigenen Ideen gestalten konnten.
Es gab sogar unter den Schülern welche, die kontrolliert haben, ob sich die Lehrer konform zur Islamischen Republik Iran verhielten. Und wir als Lehrer mussten aufpassen, welche Fragen wir im Unterricht stellen.
Meine Schulleiterin war mir gegenüber immer unsicher, da ich für den Kunstunterricht ein Buch mitbrachte, das nicht den ideologischen Vorgaben entsprach. Sie hat dieses Buch regelmäßig überprüft, um zu sehen, oben dort vielleicht heimlich irgendwelche Informationen für die Schüler versteckt sind. Sie wusste, dass ich schon vor der Revolution im Schuldienst gearbeitet hatte und deswegen hat sie mir ständig Probleme gemacht, z.B. hat sie sogar die helle Farbe meiner Turnschuhe bemängelt. Diese Schulleiterin war keine Iranerin, sondern kam aus dem Irak, aber weil sie dem System so nahe stand, hat sie den Posten als Schulleiterin ohne entsprechende Qualifikation bekommen.

Kannten Sie andere Lehrer, die 1979 erst hinter der islamischen Ideologie standen und deren Einstellung sich im Laufe der Jahre gewandelt hat?

Manche Mitarbeiter aus verschiedenen Glaubensrichtungen (Hisbollah, Mudschahedin, linke politische Szene) haben anfangs versucht, die Ideen der Islamischen Revolution zu unterstützen. Es gab sogar welche, die dachten, die neue Islamische Republik Iran wäre so etwas wie die USA oder Deutschland.
Nachdem die Islamische Revolution das Schah-System entmachtet hatte und die Lage sich normalisieren sollte, hat sich die Situation im Land nicht beruhigt. Fast alle, die ich aus dem Bildungs- und Erziehungsministerium vor der Revolution kannte, haben gemerkt, was für einen falschen Weg die Islamische Revolution gegangen ist, als es zu Massenhinrichtungen und willkürlichen Verhaftungen kam. Einige Kollegen haben gegen eine kleine Abfindung ihre Arbeit beendet oder sind in Frührente gegangen.
Erst als es schon zu spät war, hat unser Volk gemerkt, was falsch gelaufen ist.

In iranischen Schulen wurde nach 1979 versucht, über Kinder an Informationen aus dem Privatleben der Eltern zu kommen und Letztere bei Verstößen gegen die islamische Ideologie zu bestrafen.
Welche Erfahrungen haben Sie als Lehrerin mit diesem Instrumentalisieren von Kindern als »Spionen« gemacht und wie verändert solch eine Maßnahme Kinder, wenn diese von klein auf gelernt haben, lieber nicht die Wahrheit zu sagen?


Dieses Ausspionieren der Eltern durch die Kinder fand und findet besonders in der Mittelstufe (6 bis 8 Klasse) statt. Diese Kinder werden ausgenutzt, indem sie z.B. gefragt werden, ob die Eltern zu Hause beten, welche Musik sie hören, welche Getränke sie konsumieren oder ob sie ausländische Nachrichtensender empfangen. Und die Antworten der unschuldigen Kinder haben zahlreichen Eltern große Schwierigkeiten bereitet. Diese Eltern erhielten eine Vorladung und Verwarnung und bei Wiederholungen führte die Sittenpolizei Hausdurchsuchungen durch.
Nach der Revolution haben Eltern ihren Kindern beigebracht, dass sie keine Familiengeheimnisse weitersagen sollen oder wenn ihnen Fragen zum Privatleben gestellt werden, nicht die Wahrheit zu sagen. Das Lügen wurde ein fester Bestandteil im Leben dieser Kinder.
Diese Kinder wuchsen mit zwei verschiedenen Charakteren auf und sie sind letztlich unsichere und labile Menschen geworden.

Forugh Farrokhzad (1935-1967) gilt als die erste iranische Dichterin, welche offen und ehrlich über die Gefühle und Sehnsüchte einer Frau sprach und sich weder einer Moral noch religiösen Dogmen unterordnete. Wie wurde ihr Werk im Schulunterricht behandelt? Wurden überhaupt Fragen zur Sexualität nach der Islamischen Revolution im Unterricht beantwortet?

Vor der Islamischen Revolution kannten die meisten Schüler Forugh und ihre Arbeiten und mochten sie sehr, weil Forugh immer sehr offen und unverblümt ihre Gedichte geschrieben hat. Aber nach der Revolution fand das Sprechen und Lesen von Forughs Werk nur noch heimlich statt.
Als Beispiel für den Sexualunterricht nach der Revolution ein persönliches Erlebnis: Die Schulsekretärin an meiner Schule hatte für dieses Thema eine Ärztin eingeladen, die auf die Fragen der Schüler eingehen sollte. Während dieser Schulstunde sollte auf Anweisung der »Pädagogen« kein Lehrer in der Klasse anwesend sein. Nach dieser Schulstunde hat die Sekretärin von staatlicher Seite enorme Probleme bekommen, da man den Sinn ihres Projektes nicht verstand und es für nicht notwendig hielt. Diese Auseinandersetzung zwischen der Sekretärin und den staatlichen »Pädagogen« konnte erst mithilfe von älteren Kollegen von mir aus dem Ministerium beigelegt werden.

Welche Antwort erhält ein iranisches Kind nach 1979 in der Schule auf die Frage: Woher komme ich, wie bin ich auf die Erde gekommen?

In der Schule gibt es keine klare Antwort.
Die Eltern und Familien habe diese Aufgabe der Schule übernommen, allerdings in jeder Familie unterschiedlich. Manche haben Bücher und Filme zur Aufklärung benutzt, andere haben Tiere oder Blumen als Beispiel genommen.
Aber in religiösen Familien wurden diese Fragen ignoriert oder die Mutter sagte dem Kind, Gott hat dich in meinen Bauch gesetzt. Für religiöse Familien sind solche Fragen keine Angelegenheit für Kinder.

Im Iran-Irakkrieg, der laut Chomeini »ein Geschenk des Himmels« war, verloren zehntausende iranische Kindersoldaten ihr Leben, da man sie zur Minenentschärfung einsetzte.
Wie lief die islamistische Gehirnwäsche ab, dass so viele Kinder in den Tod gingen? Welchen Einfluss hatten Schulen bei der Mobilisierung von Kindersoldaten?


Die gesamte islamistische Ideologie zielte in ihrer Propaganda an erster Stelle auf die Verbreitung des Märtyrerkults ab. Und so wurde die Gesellschaft vorbereitet, sodass sich junge Menschen für den Islam und die Revolution opferten.
»Pädagogen« vom Staat, die streng religiös waren und zuvor schon Kinder als Spione instrumentalisiert hatten, manipulierten die Kinder dann genauso für das Märtyrertum und versprachen ihnen das Paradies. Es wurden sowohl Jungen als auch Mädchen und sogar die Eltern für den Krieg mobilisiert. Es gab zahlreiche Schüler, die sich »geopfert« haben und bis heute leben Familien im Iran, die den Verlust ihrer Kinder nicht vergessen können.

Iran ist ein multiethnisches und multikulturelles Land; spiegelt sich das auch im Schulsystem und im Unterricht wieder?

Da es keine Gedanken- und Meinungsfreiheit im Schulsystem der Islamischen Republik Iran gibt, ist jeder Andersdenkende und Sprechende nicht erwünscht. Und das wird einem multiethnischen Land wie Iran nicht gerecht und hat viele Probleme verursacht.
Menschen aus Ethnien mit einer anderen Sprache dürfen in Behörden nicht in ihre Muttersprache sprechen und die einzelnen Provinzen können keine eigenständigen Entscheidungen im Schulsystem treffen. So entstehen viele Probleme bei der Verständigung z. B. mit Kurden, Türken oder Belutschen.

Zahlreiche Lehrer wurden im Iran in den letzten Jahren zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, nachdem sie friedlich für freie Meinungsäußerung und eine unabhängige Gewerkschaft demonstriert hatten. Konnten die Proteste der Lehrer Verbesserungen im iranischen Schulsystem erreichen?

Die Möglichkeit für eine freie und friedliche Meinungsäußerung gibt es seit Beginn der Islamischen Republik Iran bis heute nicht.
Eine Demonstration oder Meinungsäußerung könnte dann erfolgreicher sein, wenn sie von breiteren Schichten aus der Gesellschaft unterstützt wird. Und man darf nicht vergessen, dass es einerseits im Iran eine große Anzahl von Lehrkräften gibt, aber andererseits im Staatshaushalt nur ein relativ kleines Budget für sie vorgesehen ist.
Alle Lehrkräfte, die offen für ihre Rechte gekämpft und ihre Forderungen vorgetragen haben, wurden verhaftet. Deshalb gibt es für Lehrer keine Verbesserungen im Schulsystem.

Ist die lange und reiche Kulturgeschichte Irans für die heutige, junge Generation vielleicht eher eine Bürde als ein Geschenk, da der Blick zu häufig in die Vergangenheit gerichtet wird und Modernisierungen unterbleiben?

Ein Blick auf die alte Geschichte Irans und die iranische Hochkultur kann für die Zukunft nützlich sein. Aber man sollte nicht einfach nur wegen der Geschichte Stolz sein und in der Vergangenheit hängen bleiben.
Natürlich sind viele junge Iraner an der Geschichte ihres Landes interessiert, aber diese Vergangenheit lässt sich nicht einfach auf das heutige Leben übertragen. Es wäre gut, wenn wir aus den alten, kulturellen Werten und Wissen zusammen mit heutigen Erkenntnissen ein modernes Land aufbauen könnten.
Viele schlaue, junge Iraner haben versucht, ältere Werte wieder neu zu beleben. Aber gerade diese jungen Leute mussten dafür bezahlen mit Zugangsverboten zu Universitäten, mit Haft oder einer ideologischen Überwachung durch die Regierung. Diese alten Werte haben bis heute überlebt, aber sie lassen sich in der Öffentlichkeit nicht umsetzen. Aus diesem Grund gibt es im Iran auch viele Drogen- und Medikamentenabhängige und eine gesellschaftliche Depression. Nur diejenigen, die ins Ausland emigriert sind, konnten sich retten.

Persische Dichter wie Rumi, Hafez oder Saadi werden bis heute von Iranern als Nationalhelden verehrt und ihr Werk ist geprägt von Menschlichkeit, Lebensfreude und Klugheit. Die Machthaber der Islamischen Republik Iran treten mit ihren Lügen, Korruption und Terror gegen Kritiker diese Werte der iranischen Poesie mit Füßen.
Wie sehr ist die iranische Kultur nach mehr als 40 Jahren Islamische Republik Iran beschädigt worden?


Die Werte und Werke der persischen Dichter wie Saadi, Ferdowsi, Hafez und anderen sind dokumentiert und im Herzen und Geist der Menschen im Iran und das kann man nicht verändern.
Selbst in der heutigen Bevölkerung Irans sind diese Werte noch verwurzelt. Auch wenn es Versuche und Arbeiten neuerer Dichter im Iran gibt, so konnten diese die Qualität der alten Dichter nicht übertreffen.
Es gibt im Iran auch heute noch Versammlungen und Treffen, wo man über diese Werke redet und singt und in manchen Familien werden die Bücher dieser Dichter wie heilige Bücher angesehen. Die Menschen im Iran haben also die Werke dieser Dichter nicht vergessen und die Versuche der Islamischen Republik Iran, diese Werke nur in ihrem Sinne zu instrumentalisieren und zu interpretieren, hatten keinen Erfolg.

Bildung gilt als Schlüssel für eine moderne Gesellschaft; welches sind für Sie die wichtigsten Qualifikationen, die ein Mensch in der Schule erwerben sollte?

Zum Glück gibt es in der heutigen Welt verschiedene Vorbilder für Bildungssysteme, sodass eine junge Gesellschaft davon profitieren kann.
Das Wichtigste lernen Kinder nicht im klassischen Schulunterricht, sondern zu Hause in der Familie: Und das ist eine humanistische, nicht-materielle Einstellung, verbunden mit einer Liebe zum eigenen Land.
In meinen Augen wird heute in der Schule mehr Wert auf die Vermittlung von Grundlagen z.B. in Mathematik oder Basiswissen gelegt, aber es fehlt viel zu sehr der Bezug zur Praxis. In dieser Hinsicht sind wir noch weit entfernt von einem modernen und fortschrittlichen Bildungssystem.
Wir haben im Iran eine große Anzahl junger Menschen mit enormen Lernfähigkeiten, aber gerade diese intelligenten jungen Leute müssen in unserem Schulsystem viele Dinge lernen, die für ihr Alltagsleben nutzlos sind, z.B. Religionsunterricht oder die Überprüfung ihrer Loyalität zur Islamischen Republik Iran. Aus diesem Grund ist im Iran heute eine moderne Bildung auf der Basis von Wissen schwer umzusetzen. Viele junge Iraner wollen oder können den ideologischen Vorgaben nicht folgen und deswegen bekommen sie keine Zulassung für das Studium oder eine Weiterbildung. Wer von diesen Leuten die finanziellen Mittel hat, der geht zum Studieren ins Ausland und die anderen versuchen, hier in einer depressiven Atmosphäre zu überleben.
Drogenabhängigkeit, Suizide und Perspektivlosigkeit sind die Folgen unseres Bildungssystems.

Die iranische Nobelpreisträgerin für Mathematik Maryam Mirzakhani emigrierte in die USA, wo sie bis zu ihrem Tod an der Stanford-Universität lehrte. Einer von vier gut ausgebildeten Iraner verlässt das Land, wenn er die Möglichkeit hat. Welche Zukunft sehen Sie für junge Menschen im Iran?

Es ist ein offenes Geheimnis, dass junge und gut ausgebildete Menschen das Land verlassen. Und diejenigen, die nicht diese Chance haben, versinken oft in Depression und Zukunftsangst.
Das Problem ist nicht, dass gut ausgebildete Iraner zum Studium ins Ausland gehen und dort wertvolle und neue Eindrücke gewinnen, sondern dass diese Personen nicht wieder in den Iran zurückkommen.
Und solange die Situation im Iran nicht so ist, dass solche gebildeten Leute willkommen geheißen werden, wird der Iran nicht davon profitieren. Und wir werden auch in der Zukunft Wissenschaftler wie Frau Mirzakhani, auf die unser Land immer stolz sein wird, nicht in unserem Land oder Universitäten festhalten können. Das bringt uns nicht weiter und so enden wir im Nichts.

05 / 2021

 

¹ Shabanou Farah ist die letzte iranische Kaiserin Farah Diba Pahlavi, welche seit 1979 im Exil lebt.
² Dr. Farrokhroo Parsa (1922 - 1980) war eine iranische Ministerin, Pädagogin und Ärztin. Sie leistete Pionierarbeit im Bildungs- und Erziehungssektor, setzte sich für die Rechte der Frauen ein und war die erste Frau im Iran, die einen Ministerposten erhielt.
Am 08. Mai 1980 wurde Frau Parsa von Islamisten in Teheran hingerichtet. In einem Brief an ihre Kinder, den sie vor ihrer Hinrichtung im Gefängnis schrieb, heißt es:
»Ich bin eine Ärztin, also habe ich keine Angst vor dem Tod. Der Tod ist nur ein Augenblick und nicht mehr. Ich bin bereit, den Tod mit offenen Armen zu empfangen, anstatt in Schande zu leben, indem ich gezwungen werde, einen Schleier zu tragen. Ich werde mich nicht vor denen beugen, die von mir ein Bedauern verlangen, wegen meiner Bemühungen für die Gleichberechtigung von Mann und Frau in 50 Jahren. Ich bin nicht bereit, den Tschador zu tragen und in der Geschichte zurückzutreten.«
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